"Adolescence" auf Netflix: Wie realistisch ist das Bild der Jugend?

Einleitung

Ob Cybermobbing, Sexting oder toxische Männlichkeitsbilder – die Netflix-Serie „Adolescence“ trifft einen Nerv und sorgt für Gesprächsstoff weit über die Bildschirme hinaus. Mit schonungsloser Offenheit zeigt sie, wie Jugendliche in einer digitalisierten Welt mit Hass, Gewalt und gesellschaftlichen Erwartungen kämpfen. Aber wie erleben junge Menschen selbst diese Darstellung? Und was können Betroffene tun, wenn sie im Netz Probleme haben? 
Im Interview mit JUUUPORT-Scoutin Mirella (19) wollen wir herausfinden, wie authentisch die Serie wirklich ist, welche Probleme für junge Menschen besonders präsent sind und welche Tipps Mirella Gleichaltrigen geben kann. 

Interviewfragen zur Serie „Adolescence“

Einstieg: Wahrnehmung und Relevanz

Wie hast Du persönlich die Netflix-Serie „Adolescence“ erlebt? Fühlst Du Dich in der Darstellung der Jugendlichen und ihrer Probleme wiedererkannt?

Die Serie Adolescence hat mich definitiv abgeholt. Gerade weil ich sie als sehr realistisch und deswegen auch erschreckend wahrgenommen habe. Somit wundert es mich auch nicht, dass die Serie in unserer Gesellschaft einen Nerv getroffen hat, da sie eine der wenigen ist, die die dargestellten Problematiken so authentisch widerspiegelt.

Findest Du, dass die Serie ein realistisches Bild der heutigen Jugend zeichnet oder gibt es Aspekte, die Deiner Meinung nach übertrieben oder zu einseitig dargestellt werden?

Zu den Problemen der heutigen Jugend gehören maßgeblich die Probleme, die in Adolescence dargestellt werden: erhöhte Gewaltbereitschaft, toxische Männlichkeit, Mobbing, Sexismus bzw. Misogynie und der Einfluss von Social Media auf all diese Bereiche. Somit empfinde ich die Serie keineswegs als übertrieben, auch wenn sie sich mit dem „Gipfel des Eisbergs“, einem Mord, beschäftigt. Gerade heutzutage habe ich das Gefühl, holt man viele Menschen erst dann ab, wenn man sie schockiert. Und durch den definitiv schockierenden Mord, werden die Zuschauer sensibilisiert für die aufgegriffenen Problematiken und erkennen, wie schnell es zu tätlichen Gewaltausbrüchen kommen kann.

Themenschwerpunkte: Cybermobbing, Sexting, toxische Männlichkeit

In der Serie spielen Themen wie Cybermobbing, Sexting und toxische Männlichkeit eine große Rolle. Welche dieser Probleme begegnen Dir auch in deiner Beratung bei JUUUPORT am häufigsten?

In der Beratung begegnet uns besonders häufig das Thema „Sexting“, das Versenden intimer Aufnahmen, und in dem Zusammenhang oft auch „Sextortion", also die Erpressung mit diesen Bildern.  Aber auch Cybermobbing und Mediensucht sind Probleme, mit denen junge Menschen zu uns kommen.

Wie wirken sich diese Themen Deiner Erfahrung nach auf das Leben und das Wohlbefinden von Jugendlichen aus?

Da diese Themen immer noch sehr schambehaftet sind, lösen sie bei Jugendlichen viel Verzweiflung, Hilflosigkeit und auch Trauer aus. Daraus resultiert häufig ein Rückzug aus dem sozialen Umfeld und auch eine Minderung des Selbstbewusstseins. Häufig sind sie aber auch völlig überfordert mit dem Thema Sex und Sexualität.

Die Serie zeigt, wie schnell aus Online-Konflikten reale Gewalt entstehen kann. Kommt das Deiner Meinung nach in der Realität oft vor oder wird das in „Adolescence“ zugespitzt dargestellt?

Glücklicherweise entwickelt sich nicht jeder Konflikt im Netz zu Gewalt im realen Leben, da viele Täter:innen anonym bleiben wollen. Die Hemmschwelle im Netz ist geringer, andere zu beleidigen und zu piesacken, wenn man der Person nicht direkt gegenübersteht und ihre Reaktionen und Gefühle somit auch nicht sehen kann.  Trotzdem finden Cybermobbing und Mobbing häufig parallel statt.

Toxische Männlichkeitsbilder und die Incel-Community werden in der Serie explizit angesprochen. Wie präsent sind solche Themen tatsächlich in der Lebenswelt von Jugendlichen, mit denen Du Kontakt hast?

Ganz viele Jugendliche, sowohl Jungs als auch Mädchen, erleben täglich die Auswirkungen toxischer Männlichkeit. Selten können sie diese aber erkennen und als problematisch ansehen. So erlebe ich zum Beispiel, wie viele in meinem Umfeld für „traditionelle“ Lebensweisen einstehen und der Satz „Männer müssen wieder Männer werden“ Alltag ist. Das beste Beispiel, welches die Serie ebenfalls aufgreift, ist der Influencer Andrew Tate. Er vermittelt, dass Männer das Geld verdienen, stark und dominant sein müssten, wohingegen die Frauen nur zur „Bespaßung“ der Männer dienen sollen. Junge Menschen internalisieren solche Behauptungen und das Resultat sehen wir in Adolescence. Jungs, die meinen, Frauen seien das schwächere und unbedeutendere Geschlecht. Daraus resultiert nicht selten auch Gewalt gegenüber Mädchen. Gleichzeitig stehen junge Männer aber auch unter enormem Druck, dem Männlichkeitsideal entsprechen zu müssen. So werden auch sie schnell zu Opfern der toxischen Männlichkeit und leiden darunter.

Expertise & Tipps von JUUUPORT

Was wünschst Du Dir von Lehrkräften, Eltern oder der Gesellschaft, wenn es um den Umgang mit diesen sensiblen Themen geht?

Es ist unvermeidbar, dass Eltern, Lehrer:innen und auch wir als ganze Gesellschaft uns mit den Themen, die Adolescence aufgreift, beschäftigen. Denn gerade Problematiken wie toxische Männlichkeit und Mobbing können unser Zusammenleben stark beeinflussen. Jugendliche sollten stärker über Folgen von Gewalt und Hass aufgeklärt werden. Sie müssen Alternativen zur Konfliktlösung finden, auch bei Konflikten mit dem eigenen Selbstbild und -wert. Dabei muss offene Kommunikation und sozialer Rückhalt eine große Rolle spielen. Verständnis und Wohlwollen sollten hier an erster Stelle stehen. Aber es ist auch wichtig, soziale Medien nicht zu verteufeln, da sie zum Leben junger Menschen dazu gehören. Sie sollten nur lernen, verantwortungsvoll damit umzugehen.

Was sind die wichtigsten ersten Schritte, die Jugendliche unternehmen sollten, wenn sie im Netz gemobbt oder erpresst werden?

Zuerst sollte sich die Person Hilfe suchen. Das können Eltern, Freund:innen oder auch wir von JUUUPORT sein. Das Gefühl, nicht alleine zu sein und Unterstützung zu haben, kann schon sehr viel bewirken. Danach kann man dann zusammen nach Lösungen suchen wie Melden und Blockieren, Screenshots sichern oder auch Anzeige erstatten.

Was können Eltern tun, um ihre Kinder bei Problemen im Netz zu unterstützen, ohne sie zu bevormunden oder unter Druck zu setzen?

Eltern sollten im Austausch mit ihren Kindern sein, Interesse für sie und ihre Freizeitbeschäftigungen zeigen und sie dazu ermutigen, über das, was sie im Netz machen und erleben, offen zu reden. Sie sollten ihren Kindern auch erklären, welche Gefahren es gibt, worauf sie achten sollten – z.B. dass sie ihre Privatsphäreeinstellungen überprüfen und nicht zu viel von sich preisgeben – und ihnen gleichzeitig vermitteln, dass sie Vertrauen in sie haben und immer da sind, wenn sie Fragen oder Probleme haben. So wie Kinder für die Offline-Welt vorbereitet werden – „Schau nach links und rechts, wenn du über die Straße gehst!“, „Geh nicht mit Fremden mit.“, „Sag laut `Stopp!`, wenn Dich jemand ärgert und hol Dir Hilfe.“ – müssen sie eben auch über die Online-Welt aufgeklärt werden.

Gibt es etwas, das Du Jugendlichen unbedingt mitgeben möchtest, wenn sie sich online unsicher oder bedroht fühlen?

Ihr seid nicht alleine! Sucht euch Unterstützung, egal wer und egal wie. Und vor allen Dingen: Es gibt immer eine Lösung.

Vielen Dank für das Interview!

Hilfe und Beratung

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